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Kleiner Mann, ganz groß: Jalil Reggais Kinderbuch „Streichholzkarlchen“

Aktualisiert: 1. Nov. 2020


„Ist das nicht ein Zufall?“, sagt Jalil Reggai, öffnet das Fenster seines Ateliers und deutet auf das gegenüber liegende Haus. „Dort in der Gerberstraße hat er gewohnt.“ Karl Winterkorn, genannt „Streichholzkarlchen“, ein Offenbacher Original, das Anfang des 20. Jahrhunderts durch Offenbacher und Sachsenhäuser Kneipen zog, um seine Streichhölzer zu verkaufen, ist der Held seines aktuellen Kinderbuchs. „Dass er dort wohnte, habe ich erst erfahren als ich über ihn im Stadtarchiv recherchiert habe“, erläutert Jalil. Die tragisch-komische Figur, an die seit April 2000 ein Denkmal auf dem Wilhelmsplatz erinnert, hat es dem Autor und Illustrator so angetan, dass er einige Mühen auf sich genommen hat, um das Werk zu realisieren.


Über ein Jahr ging ins Land, bis Jalil sein Projekt abschließen konnte. Bei all seinen bisherigen Büchern, habe er nur ein bis zwei Monate gebraucht. Bei diesem Werk habe sich der Genehmigungsprozess für die Bilder aus dem Stadt-Archiv in die Länge gezogen. Denn in seiner Geschichte verbindet er historische Fotografien von Karl Winterkorn und der Stadt Offenbach mit seinen Zeichnungen. Ein Bild zeigt beispielsweise, wie der kleine, rundliche Karl mit seinen Streichholzschachteln auf dem Boden einer Sachsenhäuser Kneipe sitzt während um ihn herum herausgeputzte Herren ihren Früh- oder Abendschoppen am Tisch genießen.


„Holzhändler“ und OFC-Fan Der kleine Mann, der vom Verkauf von Streichhölzern in Offenbacher und Sachsenhäuser Apfelweinkneipen gelebt haben soll, war in den 30erJahren einer der populärsten Offenbacher. Bekannt wurde er aber vor allem durch einen Ausspruch von sich. Gefragt, was er denn von Beruf sei, antwortete er: Holzhändler. Er galt „als liebenswerter Kerl“, der sich gern nützlich machte. Den Offenbacher Kickers trug er die Plakate zum Aushang in die Ladengeschäfte und überliefert ist, dass er auf der Bühne des Frankfurter Schauspielhauses in Stoltzes „Alt Frankfurt" mitspielen durfte. 1925 spielte er auch im neueröffneten Operettenhaus im Weihnachtsmärchen "Streichholzkarlchen und das Christkind" mit.

Reise zu den Sternen: Jalil Reggai verbindet Realität und Märchen

Wenn Jalil über Karl redet, beispielsweise darüber, dass noch nicht mal ein Schildchen am Haus in der Gerberstraße daran erinnert, dass er dort wohnte oder dass die Stadt Offenbach seinen Geburtstag am 28. März nicht wenigstens mit einem Foto im Rathaus würdigt, dann merke ich, wie verbunden er sich mit dieser Figur fühlt. Das spiegelt auch sein Werk wider. Entstanden ist eine Collage, die Realität und Märchen miteinander verschmelzen lässt und den Leser gemeinsam mit Streichholzkarlchen auf eine Reise zu den Sternen führt. Ein kleiner Mann, der großartiges leistet. Denn dank seiner Streichhölzer verhilft Karlchen erloschenen Sternen zu neuem Glanz. Wenn Jalil seine Ideen und Zeichnungen auf dem Tisch ausbreitet, blitzen seine Augen und kindliche Begeisterung erfüllt sein Gesicht. Dieser Mann brennt für seine Arbeit.

Von Casablanca, über Paris nach Offenbach

Neben dem Schreiben ist das Zeichnen die größte Leidenschaft des Autors, die ihn schon von Kindesbeinen an begleitet. Jalil wurde 1954 in Casablanca, der größten Stadt Marokkos, geboren und übersiedelte für seine Ausbildung an der École National des Beaux Arts nach Paris. Nebenbei spielte er auch leidenschaftlich gern Fußball. Die Begabung für den Sport war so groß, dass er später sogar als Profi-Spieler in Schweden engagiert wurde. Als er die Fußballer-Karriere altersbedingt beendete, kehrte er zurück nach Paris und lernte dort eine deutsche Au pair aus Offenbach kennen. Der Liebe wegen zog er an die Stadt am Main.

„Ich hatte dann verschiedene Jobs, beispielsweise als Supervisor von Reinigungskräften“, sagt Jalil und lacht. Immer wieder was Neues auszuprobieren, keine Berührungsängste zu haben, das passt zu ihm. Er hat sich diese kindliche Neugier bewahrt und kann sich schnell begeistern. „Das hat mir immer wieder auf die Beine geholfen. Auch wenn’s mal nicht so rund lief, um beim Fußball zu bleiben“. Der Sport ist immer noch ein wichtiger Teil seines Lebens. Zweimal die Woche trainiert er die Jugend des SVG Rumpenheim.

Offenbach liefert viele gute Geschichten

Seit drei Jahren hat er ein 50 Quadratmeter großes Atelier im Ostpol in Offenbach, einem Gründerzentrum, das unter anderem Räume an Selbständige vermietet. Seine Bücher verkauft er nicht nur in Deutschland. „Frankreich ist ein sehr guter Markt für Kinderbücher“, sagt Jalil. Dort habe der Verlag mit dem er zusammen arbeitet, auch schon Interesse für sein „Streichholzkarlchen“ signalisiert.


Die Ideen gehen ihm nicht aus. In seinem Kopf entstehen immer neue fantasievolle Geschichten, die er gar nicht schnell genug zu Papier bringen kann. So schwebt ihm bereits eine weitere Figur aus Offenbach für ein neues Projekt im Kopf herum. Jalil nimmt ein Foto von der Pinnwand. Ein altes schwarz-weiß Bild zeigt einen kräftigen Mann mit Bart und Schiebermütze. „Das war Maabär – auch ein Offenbacher Original, das mit Streichholzkarlchen befreundet war“, erklärt Jalil. Franz Weber bekannt unter dem Namen „Maabär“ schlief in der warmen Zeit des Jahres oft unter den Mainbrücken. Er verdiente seinen Unterhalt mit Hilfsarbeiten für Ruderer, Flößer und Mainschiffer. Nach eigenem Bekunden rettete er persönlich mehrere Personen vor dem Ertrinken, obwohl stadtbekannt war, dass er nicht schwimmen konnte. „Eine tolle Vorlage für eine neue Geschichte“, stellt Jalil fest. Wir dürfen gespannt bleiben, in welche Welt er uns diesmal entführt.


Das Buch "Streichholzkarlchen" erscheint im November im Noel-Verlag und kostet 14,90 Euro.

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